Kurzgeschichte: „Eine Frage der Ehre“, Warhammer Fantasy

Der Kurzgeschichten-Wettbewerb II im Warhammer-board ist nun beendet, die eingereichten Geschichten wurden bewertet und der Sieger steht auch fest. Auch wenn ich nicht der Gewinner des Wettbewerbs bin, erfüllt es mich doch mit einem gewissen Stolz, den 4.ten Platz erreicht zu haben und möchte Euch meine Geschichte nicht vorenthalten.

Hier nun also die zweite Geschichte meines Storyboards:

Eine Frage der Ehre

Gilbert Flagoulette erwachte. Mühsam versuchte er, seine bleierne Müdigkeit abzustreifen und sein Bewusstsein vollständig wieder zu erlangen. Seine Augenlider waren mit irgendeiner zähen Substanz verklebt und ließen sich nur mit größter Willensanstrengung öffnen. Sein ganzer Körper schmerzte ihn und als er versuchte, seinen rechten Arm zu heben, durchzuckte ihn dort ein heftiges Stechen. Dabei wollte er sich nur die Augen wischen, um klar sehen zu können. Halb blind hörte er gedämpft und wie aus weiter Entfernung tierisch klingende Laute und unmenschliches Gestöhn. Die Schmerzen ignorierend richtete er sich auf und bald saß er halbwegs aufrecht auf dem Boden. Alles um ihn herum schien feucht und klebrig zu sein und als er es endlich schaffte, seine Augen gänzlich zu öffnen, erblickte er zu seinem Entsetzen um sich herum nur tote Leiber. Sein treues Schlachtross lag aufgeschlitzt ein paar Meter entfernt von ihm und regte sich nicht. Ein Körper zu seiner rechten trug einen Überwurf, der mit den Insignien seines Lehens versehen war. Er wusste nicht, wer es war, der da lag, denn der Körper des Trägers war verstümmelt, der Torso kopflos. Er bemühte seine Erinnerung und langsam dämmerte ihm die Wahrheit: Er befand sich auf einem Schlachtfeld, die Kämpfe schienen vorüber zu sein. Er selbst schien schwer verwundet zu sein, neben dem Schmerz in seinem Arm konnte er sein linkes Bein nicht bewegen, es schien gebrochen zu sein. Was er außerdem noch wusste: Er war als Träger der Herzogsstandarte seines Lehnsherrn, Herzog Jacques d‘ Aquitaine zusammen mit diesem und der Hauptstreitmacht der herzoglichen Truppen aufgebrochen, um einen der ständig wiederkehrenden Überfälle der Bestien des Waldes zu sühnen. Dabei waren sie in einen Hinterhalt geraten und in einem entsetzlichen Gemetzel niedergemacht worden.

Ein tiefes Brüllen vom nahen Waldrand ließ ihn aufschrecken, denn so dasitzend fühlte er sich hilflos und ungeschützt. Die Urlaute der Bestien hatten sich tief in sein Gedächtnis eingegraben und beim Gedanken daran, es könnten noch einige von ihnen am Leben sein, erschauerte er. Es sah nicht so aus, als könne er Unterstützung von anderen Herzogstreuen erwarten, denn hier regte sich nichts mehr. Dafür war das Gebrüll umso bedrohlicher und verhieß nichts Gutes für seine eigene Zukunft. Er musste hier weg, egal wie. Er durfte den Bestien nicht in die Hände fallen, denn er hatte immer noch die Insignien des Herzogtums bei sich, wie die Standarte, die neben ihm im Blute seiner Mitstreiter lag. Er sah sich genauer um und hielt Ausschau nach Herzog Jacques, doch er konnte ihn nicht erblicken. Vom Waldesrand ertönte wieder dieses kehlige und triumphierende Gebrüll und ein Verdacht keimte in ihm auf: Entweder schändeten die Bestien den toten Herzog oder…sie hatten ihn lebend in ihre Gewalt gebracht! Trotz seiner Verletzungen und seinem Drang, sich in Sicherheit zu bringen, gemahnte ihn sein Gelübde, nicht zu verzagen und um seinen Lehnsherren zu kämpfen, egal, wie es um ihn selbst stünde.

Wie unter Zwang bereitete er sich darauf vor, erneut zu kämpfen und begann sich selbst zu untersuchen. Sein Schwertarm machte ihm in erster Linie Sorgen. Der Oberarm wies eine lange, tiefe und immer noch blutende Wunde auf. Einer oder mehrere Hiebe hatten offensichtlich seinen Armschutz durchdrungen und den Schnitt verursacht. Er griff mit der anderen Hand in seinen Gürtelbeutel, nahm ein Stück Stoff heraus, und verband damit seinen Arm so gut er konnte. Er schlang den dünnen Lederriemen des Beutels fest um die Wunde und hoffte so, die Blutung zu stoppen. Den Beutel ließ er fallen. Mit seinem Bein war es nicht ganz so einfach. Er griff nach dem Schaft der zerbrochenen Axt eines toten Mitkämpfers, zog dessen Beutelriemen aus seinen Ösen und schiente mit beidem so gut es ging sein Bein. Danach musste er sich ausruhen, weil ihm schwindlig wurde. Er tastete mit der linken Hand nach dem Schaft der Standarte, zog ihn zu sich heran, und als der Schwindel nachließ, stand er auf, gestützt auf seine Standarte. Unsicher schwankend stand er bald aufrecht und überblickte er das wahre Ausmaß der Metzelei. Im Umkreis von 300 Metern lagen übereinander getürmt Leichen von Bretonen und Tiermenschen auf der Lichtung, auf der die Schlacht stattgefunden hatte, gleichermaßen abgeschlachtet. Überall fand sein Auge abgetrennte Gliedmaßen, aufgeschlitzte Bäuche und verstümmelte Körperteile. ‚Der ganz normale Wahnsinn einer mörderischen Schlacht‘ konstatierte er grimmig.

Das Chaos ignorierend wagte er einen ersten Schritt. Trotz heftiger Schmerzen ging dies leichter als angenommen und so fasste er neuen Mut. Sein Schwert lag direkt vor ihm zu seinen Füßen, er hatte es zuvor gar nicht bemerkt. Mühsam bückte er sich, hob es mit seinem verletzten Arm auf und steckte es in sein Schwertgehänge. Dann tat er den nächsten Schritt und strebte der erhofften Deckung des Waldesrandes zu. Er unterdrückte den Impuls, von diesem Ort des Todes zu flüchten und suchte vielmehr Deckung im Gestrüpp des Waldes. So stand er da, geräuschlos und unbeweglich, und sammelte seine verbliebenen Kräfte. Wie lange er so verharrte, wusste er nicht. Urplötzlich nahmen seine nunmehr wieder geschärften Sinne einen pestilenzartigen Geruch wahr. Gilbert fühlte sich beobachtet und schauderte bei dem Gedanken an seine Wehrlosigkeit. Etwas bewegte sich raschelnd hinter ihm durch das Unterholz, es war mehr wie ein Wispern als wie ein wirkliches Geräusch. Jemand oder etwas bemühte sich geschickt, jedes Geräusch zu vermeiden. Ob es nun Intuition war oder nackte Angst, er erstarrte zu einer Säule. Der Dreck an seiner Kleidung half ihm, nahezu mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Er konnte sich nicht umdrehen, ohne die Aufmerksamkeit des anderen Wesens zu erregen, musste aber irgendwie der Gefahr ins Auge blicken, um sich gegen einen Angriff wehren zu können. So entschied er sich für die alte Taktik, das Überraschungsmoment zu nutzen. Als er sich sicher war, das das Andere in Reichweite seines Schwertes war, griff er seinen Gegner an. Er wusste, er hatte nur einen einzigen Versuch! Unter größter Konzentration und Kraftanstrengung drehte er auf seinem gesunden rechten Bein um, reckte sich zu voller Größe und zog gleichzeitig mit einer fließenden Bewegung sein Schwert aus der Scheide. Der Schmerz in seinem Arm drohte ihn zu übermannen aber er legte alle Kraft in diesen einen Hieb. Und das Glück war ihm hold! Überrascht und entsetzt zugleich riss der hinter ihm lauernde Ungor die Augen auf, versuchte eine müde Abwehr, doch  Gilberts Hieb traf das Tier mitten am Halsansatz und trennte seinen Kopf vom Rumpf ab. Ohne einen weiteren Laut sank der Gegner zu Boden. Gilbert schwankte, getragen von seinem gewaltigen Schwertstreich und prallte gegen den Baum, der ihm bisher Deckung gegeben hatte. Sein Arm hing kraftlos herab, die Hand umklammerte wie festgeschmiedet sein Schwert.

Fürs erste schien die Gefahr gebannt zu sein, aber er konnte nicht ausschließen, dass noch weitere Sucher wie dieser Ungor in der Gegend umherstreiften. Setzen konnte er sich nicht, er hätte sich nicht wieder aufrichten können. So lehnte er sich weiter an seinen einzigen Halt, den schützenden Baum und versuchte erneut, Kräfte zu sammeln.

Er verspürte starken Durst und fühlte sich schwach. Ihm wurde klar, dass er sich zuerst stärken müsste, bevor er sich Gedanken um die Rettung des Herzogs machen konnte. Um sich blickend entdeckte er allerlei Bündel und Beutel, fortgeworfen vom geflüchteten Bauernpack.  Mit dem Schwert angelte er sich einen der in seiner direkten Nähe liegenden Beutel und zog ihn zu sich heran. Wieder hatte er Glück, denn er fand darin etwas in ein Tuch eingewickeltes, altbackenes Brot und ein kleines, mit einem primitiven Wachspfropfen verschlossenes Trinkhorn, in dem noch Flüssigkeit gluckerte. Er begann seine karge Mahlzeit. Er würgte das harte Brot mit wenigen Bissen herunter und spülte mit dem billigen, mit Wasser versetzten Wein aus dem Trinkhorn nach. Selbst diese kleine Menge des geistigen Getränks erfüllte seinen Magen mit wohliger Wärme und er fühlte sich gleich besser.

Er begann seine Möglichkeiten zu durchdenken und kam zu dem immer gleichen Schluss. Was immer er auch unternehmen würde, seine Verletzungen sowie die Tatsache, dass er keinerlei Unterstützung erwarten konnte bedeuteten wahrscheinlich seinen sicheren Tod. So schien es ihm egal, was er als nächstes tat und wie. Er entschied sich für den direkten Weg – an den Feind heranschleichen, den Zustand des Herzogs feststellen und den Gegner töten. Eine echt bretonische Lösung! Es gefiel ihm direkt, auf diese Weise ehrenvoll zu enden und er begann sogleich damit, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Denn wenn erst die Dunkelheit hereinbräche, sollte er sich in unmittelbarer Nähe seines Herzogs befinden, um dann das Überraschungsmoment erneut für sich zu nutzen.

Und so lauschte er in den Wald hinein. Wie auf Befehl ertönte wieder das tierische Gebrüll, allerdings diesmal gemischt mit Waffengeklirr und menschlichen Rufen. Das konnte nur eines bedeuten! Der Herzog lebte und kämpfte noch! Eile war geboten und so setzte Gilbert sich in Bewegung, direkt auf die Geräusche zu.

Das hatte er sich allerdings einfacher vorgestellt als es dann war. Der Angriff auf den Ungor hatte ihn wirklich an die Grenzen seiner Kräfte gebracht, sein Schwertarm blutete wieder stärker und sein Bein drohte seinen Dienst zu verweigern. Er wurde sich der Aussichtslosigkeit seines Unterfangens erneut bewusst, aber seinen Herzog im Stich zu lassen kam ihm schändlich und ehrlos vor und stand gegen alles, was er feierlich gelobt hatte. Und so schleppte er sich durch den Wald, bemüht, wenig Geräusch zu verursachen und blendete dabei alles aus, was ihn von seiner Mission abbringen könnte. Und so übersah er fast die Fanfare des Musikers der Herzogsgarde direkt vor ihm auf dem Boden. ‚Immerhin etwas‘ dachte er sich, angelte wieder einmal mit dem Schwert, das er diesmal vorsorglich in die linke Hand genommen hatte, um seinen verletzten Arm zu schonen, nach der Fanfare und drückte sie an sich. ‚Zwei in Einem‘ sinnierte er. Weiter ging es. Die Kampflaute wurden immer lauter, er befand sich also auf der richtigen Fährte.

Mit jedem Schritt wuchs sein Selbstvertrauen, plötzlich schienen ihn seine Einschränkungen nicht mehr zu behindern. Wieder lag etwas vor ihm im Unterholz, blitzend und metallisch, direkt daneben der tote Leib des 1. Gardisten der Herzogsgarde. Das Schwert des Champions! Welch ein Fund! ‚Drei in Einem‘ dachte er, ‚besser geht’s nicht‘. Wieder angelte er mit dem Schwert, diesmal aber die Waffe und tauschte sie gegen seine eigene aus. Sein eigenes Schwert steckte er zurück in sein Schwertgehänge, das Schwert des Champions behielt er in der Hand. Bestens in Schwertkunde unterrichtet, übte er nun mit dem linken Arm einige Finten, Paraden, Hiebe und Stöße und freute sich über die Ausgewogenheit der Waffe. Spontan entschied er sich dafür, im bevorstehenden Kampf die Waffe auch mit dem linken Arm zu führen. So gerüstet erreichte er wenige Augenblicke später den Schauplatz des letzten Gefechts der d’Aquitaines.

Auf einer kleinen Lichtung sah er seinen Herzog, einen Baum im Rücken als Deckung, seine Waffe in der einen und seinen Schild in der anderen Hand. Er atmete schwer und blutete aus mehreren mehr oder weniger schweren Wunden. Um ihn hatten sich 5 bereits verwundete Gardisten zu Fuß geschart  und deckten den Herzog vor den Angriffen einer Horde von 20 oder 25 Tiermenschen, die unablässig mit ihren primitiven, kruden Waffen auf sie einschlugen.

Ohne zu überlegen hob Gilbert die Fanfare und schmetterte das Angriffssignal des Königs, welches ihm sehr wohl bekannt war, in den dunklen Wald. Die Bestien erstarrten augenblicklich und drehten sich zu Gilbert um, der wie eine Ausgeburt der Hölle verdreckt und blutüberströmt in ihrem Rücken in der Dämmerung auf der Lichtung stand. Dieser Anblick ließ selbst die abgebrühten Bestien erschauern und ihre Kampfmoral begann zu wanken. Das war der richtige Moment! Gilbert ließ die Fanfare fallen, streckte das Schwert zum Angriff vor, warf die Krücke von sich und stürmte los. Die Gardisten taten dasselbe und urplötzlich waren die Bestien in der Zange der Bretonen. Hieb auf Hieb, Schlag auf Schlag, Schnitt auf Schnitt, mit jedem Streich fiel ein Tier tot oder verwundet zu Boden. Binnen weniger Augenblicke hatte sich das Blatt gewendet und die Bretonen die Schlacht für sich entschieden. Das letzte, was Gilbert nach dem tödlichen Stoß des Hordenführers  der Bestien in seine Brust noch verspürte, war eine große Ruhe und Zufriedenheit. Die Rettung des Herzogs war eine Frage der Ehre gewesen, und er hatte nicht gefehlt.